Huhn mit Häubchen ...
Nachher dachte ich „Da musste einen Text draus machen.
Anders ist das nicht zu ertragen.“ So war es dann auch.
Die grün gewandete OP-Schwester stiefelt mit Stechschritt
ins Wartezimmer, schnarrt eine Reihe von Namen herunter und so setzen sich mehr
oder weniger schnell sechs Personen auf dem Weg zur ambulanten Augen-OP in
Bewegung. Ich auch.
Das hat schon ein wenig etwas vom Viehtrieb bis zur
Schlachtbank, wie wir da alle an den mitleidigen Blicken der im Flur
aufgereihten anderen Patienten in Reih und Glied nach Bundeswehrmanier entlang marschieren.
Händen desinfizieren, setzen. Die drei Herren der
Schöpfung besetzen die Stühle, die drei Damen die Behandlungsliegen. Ein
weiteres Bild drängt sich auf. Hähne auf dem Misthaufen, Hühner auf der Stange.
Als erstes gibt‘s Überzieher über die Schuhe, dann für
jeden ein adrettes grünes Häubchen. Wir sehen alle gleich bescheuert aus, außer
… der Typ mit der Knollennase. Der sieht besonders schön aus und erinnert mich
stark an Herrn Müller-Lüdenscheidt, nur mit Duschhäubchen anstatt mit Badekappe.
Dann bekommen wir alle Augentropfen, die angeblich
betäuben sollen, anschließend wird desinfiziert – mit Betaisodona. Herr
Müller-Lüdenscheidt nimmt’s gelassen, der Herr daneben kneift die Augen
zusammen. Der dritte im Bunde meint „In beide Augen, ich krieg zwei Spritzen.“
Und ich die Krise bei dem Gedanken.
Die Dame mir gegenüber winkt ab „Nö, ich habe ‚ne
Jodallergie.“ Dann ich und dann die alte Lady neben mir. Die zieht hörbar die
Luft ein und fängt an zu schimpfen. Herr Müller-Lüdenscheidt schnauft jetzt doch und ich
heule, aber nur mit einem Auge.
Dann herrscht Schweigen, das die Dame mir gegenüber
bricht. Sie war mir schon im Wartezimmer aufgefallen: Lila onduliertes Haar,
eine rote Handtasche, knallrote Fingernägel und ein roter Schal. Chic! Sie
wendet sich an die noch ältere Dame neben mir.
„Darf ich mal fragen, wie jung sie eigentlich sind?“
Keine Reaktion. Frau Rot stellt die Frage erneut, etwas lauter. „Wie? Was?
Haben Sie was gesagt?“ Frau Rot schreit jetzt. Herr Kneifer kneift die Augen
fester zusammen, als könnte er damit seine Ohren schützen.
„Ach so, Sie meinen mich“, tönt es krächzend neben mir. „95“.
Frau Rot ist erstaunt. „Gut gehalten. Dann habe ich ja noch 10 Jahre Zeit. Also
vielleicht.“
Schweigen im Walde.
Plötzlich hebt Miss Sophie neben mir ihren Gehstock und
klopft mir dreimal an den linken Oberarm. Tok – tok – tok. „Was habe ich
gesagt? 95? Ach was, ich bin doch erst 90.“ Ich grinse. Bei dem Alter machen 5
Jahre also nichts mehr aus. Sie erzählt weiter „Meine Nachbarin ist gestern 95
geworden, die habe ich besucht und die ist noch ganz gut dabei für ihr Alter.“
„Sie aber auch, Sie aber auch“, bestätigt Frau Rot und
presst ihre Tasche fester an ihre Brust. „Das dauert aber heute hier lange. Der
Doktor hält sicherlich noch ein Mittagsschläfchen.“
„Besser er hat gleich ‚ne ruhige Hand“, werfe ich ein. Es
wird reihum genickt. Die grünen Häubchen wippen vor und zurück.
„Das letzte Mal hat das aber sowas von weh getan“, lässt
Miss Sophie verlauten. „Ganz grässlich!“ Das ist so ungefähr genau das, was ich
jetzt brauche und was ich unbedingt hören will.
„Ja, ja, bei mir auch, also damals in Krefeld. Das war
ganz schlimm“, bestätigt Frau Roth. „Das war bei der Spritze mit Lucentis, weiß
ich noch genau.“ Ich starre auf die Medikamentenschachtel in meiner Hand. Ach
Du Scheiße. Hat mal einer eine Valium? Jetzt? Bitte!
Eine vermummte Schwester in OP-Montur lässt sich blicken.
Drei Hühner fordern gleichzeitig „Bitte noch mal diese Betäubungstropfen, ja?“
und werden schroff zurecht gewiesen „Gleich im OP.“ ICH WILL SIE ABER JETZT!
Herr Müller-Lüdenscheidt grunzt. Zur Strafe wird er mit in
den OP genommen.
Weil das Sitzen für Miss Sophie auf der Behandlungsliege
so anstrengend ist, hiefen Frau Rot und ich sie in den frei gewordenen Sessel.
„Danke Kinder!“
Schweigen.
„Ich werde übrigens Uroma, die Lene ist bald ausgezählt.
Ganz schön spätes Mädel mit ihren 35 Jahren“, lässt uns die 90-Jährige an ihren
Gedanken teilhaben. „Ach, das ist sowas Schönes, ich sachet Ihnen. Ich bin auch
schon Uroma. Wenn’s mir mal ganz
schlecht geht, dann denke ich an mein Urenkelchen. Es gibt nichts Schöneres auf
der Welt,“ ergänzt Frau Rot. Die Damen nicken, die Häubchen wippen.
„40 Jahre habe ich im Kabelwerk gearbeitet in der Küche.
Schwere Töpfe, Spülhände und trotzdem bin ich so alt geworden. Wie ist das bloß
möglich?“ sinniert Miss Sophie.
„Mein Mann ist mit 33 an MS gestorben, 7 Jahre lang ein
Pflegefall. Der konnte nichts mehr, gar nichts. Und die Söhne habe ich alleine
großgezogen. Ist was draus geworden“, lässt Frau Rot verlauten.
“Und Sie sind immer alleine geblieben?“, will ich
neugierig wissen.
„Aber ja doch. Ich hatte keine Lust auf einen weiteren
Pflegefall. Gelegenheiten gab’s aber reichlich“, grinst sie mich an und dabei
blitzt es wunderbar kokett hinter der Goldrandbrille. Ich glaube ihr aufs Wort.
Ruhe. Jeder hängt seinen Gedanken nach.
Dieses Mal bin ich es, die das Schweigen bricht. „Schon
komisch, wir drei Frauen gackern hier wie die Hühner und die Männer
schweigen allesamt.“ Herr Kneifer dreht den Kopf zu mir und verkündet „Ich
wollte die Damen nur nicht stören.“ Clint Eastwood daneben zieht die Mundwinkel
nach unten, was wohl Zustimmung bedeuten soll.
Die OP-Schwester stapft in den Raum. Ich bin dran.
Shit!
„Denn man tau, Küken“, kriege ich gerade noch so mit. Clint Eastwood grinst ungemein cool. Und
ich auch, obwohl mir so gar nicht danach ist.
Text: ©Andrea Steffen