Wäscheleinenzettelwirtschaft
Es
gibt Lebensphasen, in denen man die Dinge laufen lassen muss. Da hat man keinen
Einfluss. Man muss warten. Und darin bin ich schon besser als früher, aber
trotzdem nicht besonders gut, im Warten und im Zusehen, was passiert. Das
schreit bei mir nach Kompensation. Wenigstens das ein oder andere will ich dann
ordnen, kontrollieren; Bereiche übersichtlich, planbar machen. Also räume ich
auf, miste aus und was dann dabei oft zutage kommt, versüßt mir die Warterei.
Das sind alte Fotos, abgerissene Eintrittskarten, ein lange schon eingelöster
Gutschein, eine Sonnenbrille von dazumal, die schon wieder modern ist. In
einer Schublade fand ich einen Haufen bunter, quadratischer Blätter,
handbeschrieben.
Unser
alljährliches Nachbarschaftsfest stand an und diese Zettelwirtschaft hing
seinerzeit an einer langen Wäscheleine, gespannt zwischen zwei Straßenlaternen.
Jeder, der was zu sagen hatte, konnte sich hier verewigen.
„Auf
die inneren Werte kommt es an. Blutdruck! Cholesterinspiegel!“ ist da zu lesen.
Auf einem pinken Zettel steht „Anleitung für eine Quarzuhr: Wenn alles richtig
eingeseselli isluruchum Sie S2 bis Slunen und Miramun mii blindernellen
Cappalunki arschetuen.“ Da ist noch ein rosa Quadrat mit folgendem Satz „Der
Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen! Das Herz kann uns sagen,
was wir tun müssen.“ Darunter ein Krakkel-Smiley, Herzchen und vom Sekt arg verkorkste Blümchen. Kommt mir bekannt
vor ;-)).
Die
rosa Papierchen waren wohl am beliebtesten. Auf einem anderen steht „Haribo
macht Kinder froh und Erwachsene ebenso.“ Stimmt genau! Haribo darf auf
Nachbarschaftstreffen nie fehlen. Auf einem grünen Zettel lese ich „Mein
wahrscheinlich letztes Straßenfest mit Euch, denn nächsten Sommer werde ich
woanders wohnen.“
Ich
selbst habe u.a. geschrieben: „Wir wünschen uns, dass das nächste Straßenfest
von jemand anderem organisiert wird. Ganz lieben Gruß M. & A.“ Was soll ich
sagen? Nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung. Die Jugendlichen haben überwiegend
Sprüche geklopft wie „1. Du liest. 2. Das Blatt ist lila. 4. Du hast nicht
bemerkt, dass 3. fehlt. 5. Du bist ein Idiot.“
Zu
fortgeschrittener Stunde kam dann auch Philosophisches dazu, allerdings
aufgrund des ebenso fortgeschrittenen Alkoholkonsums in mitunter unorthodoxer
Grammatik. „Nur wer begriffen hat, dass lieben wichtiger ist, als geliebt werden
ergibt sich das Geliebtsein ganz von selbst.“ Der Wille zählt und die Aussage
ist schön!
„Für
die Menschen ist wichtig, was sie mit den Augen wahrnehmen; ich aber schaue
jedem Menschen ins Herz.“ Liest sich wie ein Psalm und ich könnte mir
vorstellen, wer das geschrieben hat.
Ich
blättere die bunten Bögen durch, versuche den ein oder anderen Spruch einer
Person zuzuordnen und lächle bei dem Gedanken an das Straßenfest. Das war 2009.
Was
aber mache ich jetzt mit diesen Andenken? Ich wollte ausmisten, also auch
wegwerfen. Aber die Idee war so schön und meine Erinnerungen auch.
Ich
mach’s anders. Ich schreibe was drüber, denn das ist auch eine Art Dinge zu
behalten, im Kopf und im Herzen.
@Andrea
Steffen
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