Die
Sprechstundenhilfe bringt Krücken. Lila, dunkellila! Wir sehen uns an. Nee, oder? Doch! „Da
fehlt jetzt aber noch der Glitzer.“ Die Arzthelferin guckt fragend. „Ich habe
von Karneval noch so einen Spray, den sprühen wir drauf.“ „Dann ist gut Mama,
nämlich ohne Glitzer kann ich nicht leben.“ Die Blicke werden irritierter. Ich
zucke bloß die Schultern. „Das ist der Schock, Glitzer ist gut gegen Schock.“ Ehe sie uns beide einweisen, halte ich dann doch lieber die Klappe.
Ich bugsiere
unsere Tochter nach Hause, bette sie bequem auf die Couch, Fernbedienung dazu, was zu
essen, zu trinken, Handy, Laptop, Telefon, Schmerztropfen. Die Apotheke hat die
Thrombosespritzen vorrätig. Bis alles erledigt ist, ist es Abend.
Der nächste
Tag ist ein Feiertag. Gott sei Dank! Am Morgen werfe ich mir ein Trockentuch
über den Arm und marschiere ins Wohnzimmer, in dem sie sich niedergelassen hat.
„Mademoiselle,
zum Frühstück können Sie heute wählen zwischen Milchkaffee mit Zucker und
Milchkaffee mit Zucker, dazu wahlweise ein Laugencroissant von Bäcker G., Mehrkorn-
oder ein normales Brötchen, als Belag Butter oder Margarine, Pflaumenmus,
Appenzeller, mittelalten Gouda oder Kochschinken. Gerne reichen wir dazu einen
Orangensaft aus der Tüte.“
Das Kind
grinst, ich nehme die Bestellung entgegen und verziehe mich in die Küche. Die
notwendigen Handgriffe gehen mir nicht leicht von der Hand. Ich spüre wie sich
in mir ein Gemisch aus Wut und Traurigkeit aufbaut. Es hat keinen Zweck, aber
ich hadere mit dem, was passiert ist. Was hat unsere Tochter nicht schon alles
gehabt? Strepptokokken, Zeh gebrochen, Verbrennungen dritten Grades,
Hüftschnupfen, Meningitis, ein gequetschter Finger, so Unaussprechliches wie Morbus Osgood Schlatter,
zuletzt ein Bänderriss und das ist längst nicht alles. Ist jetzt nicht mal
langsam gut?
Ja, es ist
immer alles gut ausgegangen. Es gibt wahrlich Schlimmeres. Trotzdem. Reicht es
nicht mal langsam? Ich denke an die bevorstehenden Herbstferien. Nix mit Alpen
Hajk, Schlittschuhlaufen mit den Freundinnen oder mittwochs Disco für die U18. Sie
arbeitet hart für die Schule. Ich hätte es ihr so gegönnt. Gut, dass wenigstens
das Konzert von Cro verlegt wurde.
Ich gehe
zurück ins Wohnzimmer. „Der Koch empfiehlt außerdem einen Wodka Lemon. Der
knallt besonders gut zusammen mit dem Novalgin. Wie wär’s?“
Spaß muss
sein.
„Unter
unseren weiteren Gästen weilt ein Ehepaar mittleren Alters. Darf ich das mit an
Ihren Tisch platzieren?“ „Aber gerne, gegen Unterhaltung habe ich momentan wenig
einzuwenden.“ Wir grinsen.
Was auch
sonst?
Tausend Fragen
gehen mir durch den Kopf. Wie wird das mit der Körperpflege? Das Busfahren
können wir knicken, also Mamataxi. Der
Sport wird ihr fehlen. Was ist, wenn sie doch operiert werden muss? Sie hat so
lange Schule, kriegt man danach noch Krankengymnastiktermine? Heilt das ohne
Folgen aus?
Nach dem
Frühstück möchte sie wieder in ihr Zimmer, die PSP 2 wieder mal in Betrieb
nehmen. Alles geht langsam, alles ist mühsam.
Entschleunigung.
Wo sind die
Spiele für die Playstation, wo das Handy? Hier, nimm mal das Kissen unter das
Bein. Tut mir leid, aber die Thrombosespritze muss erst mal sein. Ach warte,
vorher desinfizieren. Im Keller ist noch dieses Tablett fürs Bett. Das holen
wir mal eben.
Ich wetze
treppauf und treppab. Entschleunigung und Fitness. Das ideale Wellness-Programm
für mich.
Galgenhumor.
„Weißte was,
Mama. Wenn ich jetzt eh 6 Wochen keinen Sport machen kann und danach auch
nicht, bis ich wieder fit bin, dann kann ich doch schon mal die Theoriestunden
für den Führerschein absitzen. Das fällt genau in die Zeit vom Fußballtraining.
Dann mache ich halt das.“
Hammer! Von dem
Optimismus kann ich mir mal locker 27 Scheiben abschneiden.
„Und noch
was! Es wäre schön, wenn Du mir die Fußnägel frisch lackieren könntest.
Du hast doch diesen dunkellila Nagellack. Das passt
astrein zu den Krücken!“
Stimmt genau.
So machen wir das. Entschleunigen und Nägel lackieren und einfach mal von heute
bis morgen gucken! Ich wusste doch, dass die lila Krücken zu mehr als zur einen
Gehhilfe nutzen.